Autorin im Porträt: Gudrun Harrer

Wenn ich ein Buchgenre wäre, wäre ich auf alle Fälle ein Roman, und zwar ein langer, komplizierter, mit vielen verschiedenen Erzählsträngen.

Auf meinem Nachtkästchen liegt folgendes Buch:
Auf meinem Nachtkästchen liegt kein Buch,
sondern Bücher. Gelesen werden in der Regel parallel ein Sachbuch und ein
Roman. Bei den Romanen ist es gerade, vielleicht wenig originell, Salingers
„The Catcher in the Rye“, das erste Mal wiedergelesen seit der Gymnasialzeit.
Ein Buch, dessen Wucht man als junger Mensch wahrscheinlich gar nicht richtig würdigen
kann, vor allem das Erscheinungsdatum 1951. Das Sachbuch, das ich gerade lese, ist
„The Great Syrian Revolt and the Rise of Arab Nationalism“ von Michael
Provence. Gehört zu einem Seminar,
das ich an der Uni halte. Und ja, bestimmt lese ich mehr auf Englisch als auf Deutsch,
natürlich vor allem Fachliteratur. 

Wenn ich ein Buchgenre wäre, wäre ich …
auf alle Fälle ein Roman, und zwar ein
langer, komplizierter, mit vielen verschiedenen Erzählsträngen. Das ist das
Ideal für jemanden, der mit Sachbüchern lebt.

Diese Bücher bringt man
besser nicht in meine Nähe:

Alles, was mit Esoterik zu tun hat. Ich
gehöre zur Anti-Coelho-Fraktion. Und Literatur von Aktivisten und
Politiklobbyisten, die so tun, als wären sie unabhängige Experten.

Ich wünschte, ich hätte dieses Buch geschrieben:
Da ich mir gar nicht vorstellen kann, wie
das ist, so gut zu schreiben, wie die von mir bewunderten Autoren, antworte ich
auf diese Frage so: einen Bestseller, der über Dezennien hält. Von den
Einnahmen würde ich leben und mir die Bücher von großen Autoren kaufen (und nie
wieder selbst eines schreiben).

In folgender Buchhandlung könnte ich
mich ohne Probleme 24 Stunden aufhalten:

In keiner, tut mir leid. Auch nicht 12 und
auch nicht 6 Stunden.

Fast nichts von dem, was in den vergangenen drei Jahren im Nahen Osten passiert ist, war vorhersehbar. Es wird so weitergehen.

© Manfred Weis

Sie sind in Österreich geboren und leben hier.
Was fasziniert Sie seit jeher so sehr am Nahen Osten?

Das Wort „fasziniert“ ist vielleicht nicht
ganz richtig, und auch nicht das „seit jeher“. Ich habe kein romantisches
Verhältnis zum Nahen Osten. Ich war zuerst an den Sprachen interessiert, habe
zu studieren begonnen, dann kam die Kultur und die Politik des Raums dazu – und
mit der Beschäftigung nach und nach die Befriedigung, die Hintergründe zu
wissen, Zusammenhänge zu begreifen und dadurch Ereignisse besser einordnen zu
können.

Für wie hilfreich oder hinderlich halten Sie Ihre
örtliche Distanz zum Geschehen bei Ihren Nahost-Analysen?

Für mich ist beides notwendig: Die Reisen,
damit man nicht den Kontakt mit der Realität in der Region verliert, und die
Distanzierung, der Schritt zurück vor dem Schreiben. Das ist besonders wichtig
bei der Beschreibung von Konfliktsituationen, die emotional sehr aufgeladen
sind. Das soll aber nicht heißen, dass für mich emotionale und parteiische
Bücher keine Daseinsberechtigung haben. Es sollte nur immer klar sein, was es
ist.


Gab es im Zuge Ihrer zahlreichen Recherchen
Situationen, in denen sie sich bedroht gefühlt haben?

Ich habe während des Bürgerkriegs Mitte der
1990er Jahre aus Algerien berichtet, das war ziemlich gefährlich. Die
bedrohlichste Zeit habe ich jedoch nicht als Journalistin, sondern als
österreichische Diplomatin erlebt, das war 2006 in Bagdad, während des
Ausbruchs des Bürgerkriegs. Seitdem weiß ich, was Raketenbeschuss bedeutet.
Eine war sehr knapp an meiner Behausung.

Wenn Sie nach Nahost-Prognosen für die kommenden
Monate gefragt werden, was antworten Sie?

Dass ich nicht im Prognosengeschäft tätig
bin. Spaß beiseite: Fast nichts von dem, was in den vergangenen drei Jahren
passiert ist, war vorhersehbar. Es wird so weitergehen.

Welche Fragen Ihrer LeserInnen wünschen Sie
sich?

Am schönsten sind natürlich Fragen, die mir
selbst beim Nachdenken helfen. Aber alle Fragen sind erlaubt und willkommen.

Nahöstlicher Irrgarten ist ab 1. September im Buchhandel erhältlich!