Autorenporträt: Hannes Etzlstorfer

Als Steinbock-Geborener bin ich jemand, der sich gerne mit ein und demselben Phänomen über Jahre beschäftigen kann, ohne dabei müde zu werden, daran Neues zu entdecken…


Mein
zuletzt gelesenes Buch:

Friedrich Torbergs Tante Jolesch –
und zwar in Hinblick auf mein jüngstes Ausstellungsprojekt „Koscher for…“ im
Jüdischen Museum Wien, das ich mit zwei wunderbaren KollegInnen kuratieren
durfte (ab Oktober). Torberg klingt als Lektüre für 2014 vielleicht nicht rasend
originell – aber bei jeder Wiederbegegnung entdeckt man eine neue Facette. Es geht uns, wie
schon Ludwig Feuerbach beobachtete, mit
Büchern wie mit den Menschen. Wir machen zwar viele Bekanntschaften, aber nur
wenige erwählen wir zu unseren Freunden
. Als Steinbock-Geborener bin ich jemand,
der sich gerne mit ein und demselben Phänomen über Jahre beschäftigen kann,
ohne dabei müde zu werden, daran Neues zu entdecken… Vielleicht liegt darin
auch der Grund, warum ich etwa jeden Sommer erneut zum Schluss komme, dass mir
nur mein Wiener Atelier samt angrenzendem Theresienbad, unser Domizil in
Neulengbach , einige Tage in Grado – und wenn es die sehr launige Fee der
Autoren, die scheue Honoraria (übrigens die eher hausbackene Schwester der
Fortuna) erlaubt, Barcelona, guttun … Bitte
das wieder streichen, denn es könnte meine Ehrenbürgerschaft in L. wie auch
meinen Stammplatz in der Konditorei L. gefährden, weil ich sie hier (noch) nicht
lobend erwähnt habe. Manche Orte würde ich ja eher tobend erwähnen, aber das
hilft mir jetzt auch nicht weiter…
Mein vorletztes Buch war übrigens
Brigitte Hamanns fundierte Rudolf-Monografie: Immer noch ein brillanter
Klassiker – und die vielleicht beste Handhabe für jemanden, der sich auf das
Himmelfahrtskommando eingelassen hat, das Kronprinz-Rudolf-Memorial in
Mayerling neu zu gestalten (wir eröffnen übrigens am 17. Oktober). 

Wenn ich den Rest meines Lebens nur mehr ein Buch lesen
könnte, wäre dies…

Unter den Favoriten wäre
sicherlich Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit. Diese historischen
Miniaturen gehören zu den eindrucksvollsten Beispielen dafür, wie man
Geschichte zum Funkeln bringen kann. Die berührende Episode über Händel („Georg
Friedrich Händels Auferstehung“) ist ihm als eine geniale Parabel auf den
künstlerischen Überlebenswillen gelungen. Wie sich der Komponist nach dem
Schlaganfall nochmals zu einem Oratorium – zum musikalischen Elementarereignis
des Messias – durchringt, ist derart eindringlich beschrieben, dass es mich
immer wieder zu berühren vermag.

Diese Bücher bringt man besser nicht in meine Nähe…
Lieblos gemachte Bücher sowie Propaganda-Bücher für politische und
religiöse Extreme halte ich von meiner Bibliothek fern. 

In dieser Buchhandlung kennt man mich persönlich…
Da ich in meiner Bibliothek mittlerweile auch die letzten Nischen mit
Büchern gefüllt habe und in dieser Buchstaben- und Bilderflut unterzugehen
drohe, bin ich weniger in den Buchhandlungen, denn in der großartigen
Österreichischen Nationalbibliothek anzutreffen. Schon von meinen Ausstellungen
im Prunksaal kenne und schätze ich dort die große Bücherfamilie – von der
unermüdlichen Generaldirektorin Dr. Rachinger bis hin zum faszinierenden
Restauratorenteam um Frau Mag. Hofmann. Ob das jetzt wie eine Ausrede klingt?
Hätte ich vielleicht doch besser schreiben sollen, dass mir beim Betreten der
Buchhandlung Frick auf der Kärntner Straße die Damen sofort mit Kaffee und meiner
Lieblingstorte (der Traunkirchnertorte) aufwarten, mir bei den
Buchpräsentationen die Brösel vom Hosenbein kehren und alle sechs Minuten
frisches Wasser auf den Tisch stellen und notfalls Claqueure einschleusen, die
bei den seltenen Pointen des Autors in Jauchzen und Bravo-Rufe ausbrechen? 

Mein Erfolgsrezept gegen
Bücherwürmer:

Kohlenstoffdisulfid, denn damit
kann der gekämmte Nagekäfer aus der Ordnung der Käfer Coleoptera bzw. der
Nagekäfer (Anobiidae) gestoppt werden. Oder war es anders gemeint? Warum dann „gegen“ Bücherwürmer? Der Vergleich
der Bibliophilen mit Bücherwürmen ist ja wenig vorteilhaft, da sich diese
Spezies im lichtscheuen Milieu aufhält, nichts von der Außenwelt mitkriegt und
dazu auch noch Schäden anrichtet. Da sind mir Büchernarren aller Altersstufen
viel lieber, die – vertieft in ein spannendes Buch – auch schon mal in der
U-Bahn übersehen, dass sie schon längst am Ziel vorbeigefahren sind – weil sie
eben gerade ein anderes Ziel vor Augen haben. Ist dieses Über-das-Ziel-hinaus-Schießen
nicht auch eine Form von Lebenskunst – im Sinne von Heinrich Böll, der die
Übertreibung als eine Definition von Kunst betrachtete?

Am Wiener Kongress hätte ich gerne bei den von Beethoven dirigierten Riesenkonzerten mitgesungen oder mich an den Leckerbissen bei der so üppigen wie exquisiten Tafel Metternichs delektiert.

© Hannes Etzlstorfer

Versetzen wir uns in die Zeit des Wiener Kongresses zurück: In die Rolle welches tragenden Akteurs wären Sie gerne geschlüpft?
Der russische Zar Alexander war ja ziemlich umtriebig und hat
sich bei der Redoute genauso amüsiert wie bei den derberen Volksfesten der
Wiener. Und wie er die Geheimpolizei des Herrn Metternich immer wieder
ausgetrickst hat, fasziniert mich noch heute – in Zeiten der NSA. Viel lieber
hätte ich wohl aber bei den von Beethoven dirigierten Riesenkonzerten mitgesungen
oder mich an den Leckerbissen bei der so üppigen wie exquisiten Tafel
Metternichs delektiert…

Angenommen, 2014/15 fände erneut ein Wiener Kongress statt. Worin
bestünden die größten Unterschiede im Rahmenprogramm?

Angesichts des
Staatshaushaltes ginge sich ein so opulentes Programm von September bis Juni
sowieso kaum aus… Der große Unterschied bestünde vor allem in der ungeheuren
Eleganz, mit der einst gefeiert, getanzt, getafelt – und charmiert –wurde,
gemäß Goethes Motto: Es ist gar nichts an einem Feste ohne wohlgeputzt vornehme
Gäste. Metternich hat ja persönlich immer penibel kontrolliert, ob auf der
Tafel das Tafelsilber und die Gläser korrekt angeordnet, geistreiche wiewohl
kunstvolle Tafelaufsätze gewählt oder superbe lukullische Menüs
zusammengestellt wurden und die Gäste in den richtigen Adjustierungen
erschienen… Die mediale Aufmerksamkeit seitens der Wiener wäre heute natürlich
ungleich höher – die Seitenblicke-Berichterstattung wäre aber schon 1814 zum
Primetime-Programm aufgestiegen. Die Gäste von damals haben viele künstlerische
wie auch frivole Programme absolviert – selbst Künstlerateliers wurden von den
hohen Gästen aufgesucht. Man stelle sich heute Präsident Putin beim Blitzbesuch
in Arnulf Rainers Atelier vor…

Der politische Machtkampf des Wiener Kongresses 1814/15 auf der einen
Seite und die zahlreichen Feierlichkeiten auf der anderen Seite – wie wichtig
waren diese Feste für die Diplomatie?
Mit diesem Reigen an Festen und sonstigen
Vergnügungen wurden die diplomatischen Gäste geradezu betäubt, womit auch ihre
starren politischen Haltungen nach und nachaufgeweicht werden sollten –was wohl
auch teilweise gelang. Heute klingt das ja trockener, wenn etwa auf höchster
politischer Ebene zum Arbeitsessen geladen wird. Metternich lud eben nicht nur
zum Arbeitsessen, sondern auch zum Arbeitstanzen, Arbeitstheaterbesuch… Nichts
sollte dem Zufall überlassen werden oder auf einem Nebenschauplatz der Gefahr
einer Eigendynamik ausgesetzt werden.

Schreiben ist für Sie schon lange kein „Neuland“ mehr. Ist diese
Tätigkeit inzwischen schon fest in Ihrem Alltag verankert oder bringt jedes
Buchprojekt immer noch neue Herausforderungen mit sich?

Beides: Natürlich ist das Schreiben schon fest in meinem Alltag
verankert – im Zuge meiner kunst- und kulturhistorischen Ausstellungstätigkeit
geht es vielfach um das „Be-texten“. Ein eigenständiges Buch funktioniert da
ganz anders, weil es nicht notwendigerweise der Dinglichkeit verpflichtet ist.
Bei historischen Themen sammle ich im Vorfeld Material, das mit den
historischen Zeitungsarchiven, die ja im digitalen Netz jetzt erst richtig
aufblühen, reichlich vorhanden ist. Und während dieser Phase ist es dann meist
ein emotionaler Auslöser, der mich an den PC fesselt und mich zwingt, diese
Bausteine und Momentaufnahmen in eine Ordnung zu bringen. Der Auslöser kann ein
unscheinbarer Fund am Flohmarkt sein, wenn ich etwa in einem reichlich
zerfledderten Buch aus Metternichs Tagen eine vergilbte Glückwunschkarte mit
gepressten Wiesenblumen oder die Reste eines Briefs finde, der „An die Köchin
und das Stubenmädchen Marie und Wetti bei Frau Marie Schleicher“ gerichtet ist,
und offensichtlich den beiden dienstbaren Geistern kein Recht auf einen
Familiennamen zubilligt… Mein Atelier gleicht ob dieser Funde immer mehr einer
Kunst- und Wunderkammer, in der viele Ausstellungs- und Buchideen entstanden
sind… Vor einer Woche wurde mir übrigens ein
ausgestopftes kleines Krokodil aus einem Nachlass geschenkt… und eine passende
Buchidee hätte ich auch schon parat, die mich zur letzten Frage führt.

In welchem gänzlich anderen Buchgenre würden Sie sich gerne einmal versuchen?
Ich würde gerne auch mal ein freches Kinderbuch
versuchen, das von verliebten Krokodilen, stotternden Prinzen und Feen mit
Kunsthüften handelt…

Der Wiener Kongress: Redouten, Karoussel & Köllnerwasser ist ab 25. August im Buchhandel erhältlich!