Der Ton macht die Geschichte und die Geschichte macht den Ton. Es stimmt beides.
Die Figuren in „Marillen und Sauerkraut“ sind sehr eigenwillige Charaktere, die durchaus Gemeinsamkeiten aufweisen. Was ist das Verbindende zwischen ihnen?
Eigenwillig? Ich hätte eher stur gesagt. Aber gut, es stimmt, dass meine Protagonisten durchaus einen eigenen Willen haben. Was die Charaktere aber gemeinsam haben, ist, dass ihnen oft die Kraft fehlt, diesen Willen auch durchzusetzen. Und wenn sie ihren Willen durchsetzen, dann mit Mitteln jenseits der Legalität. Vergewaltigung, Mord, Watschen, Steinwürfe. Soweit ich weiß, ist das alles verboten. Oder anders gesagt, die Protagonisten meiner Geschichten sind nicht völlig lebensuntüchtig, aber allesamt patschert.
Bei der Lektüre Ihrer Erzählungen kommt man nicht umhin, an Helmut Qualtinger zu denken. Inwiefern hat er Sie beim Schreiben inspiriert?
Ja, der Qualtinger, wenn ich ganz kurz antworte: Er hat mich gar nicht inspiriert. Ich hab natürlich die CD daheim, die er mit André Heller aufgenommen hat und den Herrn Karl hab ich mir im Fernsehen angeschaut. Aber ich hab mir nie gedacht: So wie der war, will ich auch sein. Oder ich wollte nie so schreiben, dass der Qualtinger die Rolle spielen könnte. Ich bin nur oft nach Lesungen angesprochen worden, ich hätte eine Ähnlichkeit mit dem Helmut Qualtinger. Aber wahrscheinlich liegt es auch an der Optik. Ich bin halt auch wampert.
Wer nicht versteht, warum öffentliche Orte faszinierend sind, der soll hingehen. Und wer es dann noch immer nicht versteht, der muss daheimbleiben.
Viele Ihrer Geschichten finden im öffentlichen Raum statt. Was ist das Faszinierende an Orten wie einem Bahnhof, einem Flughafen oder einer Parkbank?
In dieser Frage liegt ja fast schon die Antwort. Wer einen Witz nicht versteht, wird auch nicht lachen, wenn man den Witz erklärt. Ich erzählte zwei Beispiele: Im Herbst sitz ich in Meidling im Park. Auf der Nebenbank zwei, drei Männer mit Schnapsflasche. Und sie unterhalten sich … über die Relativitätstheorie. Einstein im Meidlinger Park. Anderes Beispiel: Vor ein paar Tagen hol ich mir die ersten Belegexemplare aus dem Verlag. Nachher fahr ich die paar Stationen zum Westbahnhof, setz mich dort auf ein Bankerl und blätter in meinem Buch. Da ist ein Text drin über einen Sandler, der sich freut, weil es erstmals schneit im Winter und er dann von der Security nicht vom Bahnhof verjagt wird. Und wie ich in dem Buch blätter, seh ich, dass die Westbahnhofsecurity die eher vergammelten Leute mit der Bierdose, die um mich sitzen, nicht rauswirft. Und draußen der erste Schnee. Wer nicht versteht, warum öffentliche Orte faszinierend sind, der soll hingehen. Und wer es dann noch immer nicht versteht, der muss daheimbleiben.
Ihr Schreibstil ist sehr unmittelbar, bisweilen hat man das Gefühl, Zeuge eines Wirtshausmonologs zu sein. Was ist zuerst da, die Geschichte oder der Ton?
Ja, was war zuerst da? Die Henne oder das Ei? Es gibt ja auch oft die Frage, wer bei Liedern zuerst da ist. Der Textdichter oder der Komponist. Schubert hat Goethegedichte vertont, da war das Gedicht zuerst. Ich selber hab eine Komposition vom Trio Lepschi neu vertextet, da war die Melodie zuerst. Dann gibt’s auch zwei Lieder von Georg Kreisler, der wohl mit dem Qualtinger verfreundfeindet war. „Das Triangel“ und „Das Grammophon“. Bei diesen Liedern greifen Text und Melodie ineinander, sind quasi allein nicht verständlich. Meine Großmutter hat immer gesagt: „Der Ton macht die Musik.“ Also in meinem Fall: Der Ton macht die Geschichte und die Geschichte macht den Ton. Es stimmt beides.