Shortlist-Autor im Interview: Tonio Schachinger

Was liebt man denn, wenn man den Fußball liebt?

In Ihrem Debütroman „Nicht wie ihr“ geht es um das Leben eines Profifußballers. Was ist Ihre persönliche Beziehung zum Fußball?  

 

Ich habe als Kind und Jugendlicher eigentlich eine recht klassische Fußballsozialisation durchlaufen, war mit meinem Opa im Stadion und habe in der Schulzeit fast jeden Tag gespielt, ohne je als besonders talentiert aufzufallen. Nachdem mich Fußball eine Zeit lang weniger interessiert hat, ist es mit dem Auftauchen von Spielern wie David Alaba und Marko Arnautović dann zu einer Art Renaissance gekommen. Inzwischen verfolge ich hauptsächlich die Spiele des österreichischen Nationalteams. Sobald man über etwas schreibt, verändert sich sowieso noch einmal der Blickwinkel darauf. Man kann dann seinem Hobby nachgehen, also etwas machen, was man ohnehin machen würde und es als Recherche rechtfertigen, gleichzeitig ist man irgendwann auch wieder fertig damit. Ich würde nicht noch ein Buch über Fußball schreiben.

 

Ihr Buch ist nicht nur für Fußballfans lesenswert, sondern auch für komplette Neulinge, die einen Einblick in die Welt eines Profispielers gewinnen wollen. Was war der Anlass für dieses Buch und was reizte Sie an diesem Thema, an diesem Protagonisten besonders?

 

Das Interessante am Profifußball ist, dass er einerseits medial sehr präsent ist, dass es aber andererseits, gerade aufgrund dieser überbordenden Berichterstattung, in der jede kleine Verfehlung von jungen Menschen zu einem Riesenskandal aufgebauscht wird, kaum noch authentische Aussagen der Fußballer selbst gibt, die über eingelernte PR-Floskeln hinausgehen. Was weiß man denn über das Innenleben eines David Alaba oder eines Aleksandar Dragović? Diese Diskrepanz hat mich fasziniert und ich sehe darin ein großes literarisches Potenzial, ganz nach dem Motto: Was sonst nicht zugänglich ist, kann durch Literatur fiktional erschlossen werden.

 

Wie ist der Titel Ihres Debüts „Nicht wie ihr“ zu verstehen?

 

Für mich hat der Titel eine doppelte Bedeutung. Er verweist natürlich erst einmal auf die große Differenz zwischen dem von der Realität entkoppelten Leben eines Fußballstars und denen von normalen Menschen, sowie auf die Entfremdungsgefühle meines Protagonisten gegenüber seiner Umgebung. Gleichzeitig sind aber viele der Themen im Roman welche, die prinzipiell jeden Menschen betreffen können: Familie, Liebe, der Umgang mit Fremdzuschreibungen und mit der eigenen (Migrations-)Geschichte, Untreue. Dadurch kann der Titel auch ironisch gelesen werden, denn Ivo ist schon auch „wie wir“, insofern die Fragen, die ihn beschäftigen, allgemeine, über den Fußball hinausgehende sind. Das war auch eine der Sachen, die mich beim Schreiben sehr gereizt haben: zu zeigen, dass diese scheinbar so weit von jeglicher Realität entfernten Fußballer ein Identifikationspotenzial für verschiedene Arten von Leser*innen anbieten und womöglich auch interessante Sichtweisen liefern können, die über ihre gesellschaftlich zugewiesenen Rollen hinausgehen.

 

Wenn man Ihren Roman liest, dann spürt man an manchen Stellen regelrecht die Wut des Protagonisten Ivo, seine Herablassung gegenüber anderen. Diese ständige Wut und Unzufriedenheit, die in Ivo steckt – woher kommt sie und gegen wen oder was ist sie gerichtet? 

 

Ich denke, dass Wut und Unzufriedenheit sogar dann, wenn es gute Gründe für sie gibt, immer in erster Linie mit einem selbst zu tun haben. Im Fall meines Protagonisten stehen sie meiner Meinung nach insbesondere in Zusammenhang mit seinem eigenen verkorksten Männlichkeitsbild und den daraus resultierenden Ansprüchen an sich selbst und an andere. Deshalb richtet sich Ivos Aggression auch größtenteils gegen andere Männer, zu denen er sich in Konkurrenz vermutet. Mich hat es interessiert, einen Protagonisten zu schreiben, der Elemente eines Antihelden in sich trägt, dem man also manchmal vielleicht in seinen Wertungen und Meinungen rechtzugeben verleitet ist, der gleichzeitig aber selbst sehr unsympathische Züge trägt und mit seinem Verhalten anderen schadet.

Dazu kommt natürlich die Rolle der Erzählperspektive, die in weiten Teilen etwa dem entspricht, was auf englisch recht knackig „free indirect discourse“ heißt, bei der es also keine klare Trennung zwischen Erzählinstanz und Protagonist gibt, ohne dass jedoch aus dem Ich heraus erzählt wird. Wir sehen dennoch alles nur aus Ivos Perspektive und hören nur seine Sichtweise, ohne alternative oder widersprechende Zwischentöne. Ob man dieser Darstellung der Ereignisse folgt oder sie hinterfragt, beziehungsweise darin auch Elemente eines unzuverlässigen Erzählens entdeckt, hängt wohl von den Einstellungen und Wertehaltungen der Leser*innen ab. Mein Ziel war es, ein vielschichtiges Bild eines Menschen zu zeigen, der sich sowohl kluge als auch dumme Gedanken macht und den man als Leser*in weder ausschließlich unsympathisch findet, noch affirmativ verklärt.

 

An einer Stelle in Ihrem Buch heißt es:Man muss den Fußball nicht lieben, man muss ihn aushalten!“ Was bedeutet der Fußball dem Protagonisten Ivo? 

 

Die meisten Menschen können sich nicht vorstellen, wie hart das Leben von Profifußballern ist. Um diesen Lebensweg einzuschlagen, muss man sehr viel aufgeben, insbesondere in der Jugend, also in der Zeit, in der man gemeinhin den Ausbruch aus Normen und Zwängen erprobt. Im Grunde fügt man sich als Fußballer für die Dauer der aktiven Karriere (und oft auch darüber hinaus) in ein Leben, in dem man die Autorität über den eigenen Körper und die einem zur Verfügung stehende Zeit komplett an seinen Verein abgibt und als Wertanlage dieses Vereins sowie als Identifikationsobjekt des Landes, dessen Trikot man trägt, unter permanenter Beobachtung steht. Es ist also zu vermuten, dass das Verhältnis von Profifußballern zu ihrem Beruf ein wesentlich ambivalenteres ist, als es ihre Aussagen in Interviews meistens vermuten lassen.

 

Wenn Sie Ihren Protagonisten Ivo mit drei Worten beschreiben müssten, welche würden Sie wählen?

 

Nicht wie ihr.